von Martin Frischknecht
Beim Surfen in Facebook stosse ich auf das Bild einer mir bekannten Frau. Als ich mit dem Mauszeiger zum Bild fahre, gerate ich in die Nähe des nach oben erhobenen Daumens. Unverlangt springt ein kleines gelbes Hilfe-Fenster auf, das mich über die Funktion informiert: «Dieses Objekt gefällt mir». Obwohl ich diese Formulierung etwas überraschend finde, kann ich nicht umhin, der Aussage zuzustimmen. Also drücke ich auf die Hand mit dem nach oben weisenden Daumen. Worauf die halbe Welt Kenntnis nehmen kann von dem, was ich seit gut drei Jahrzehnten weiss: Ich mag sie. Schliesslich war sie mal meine Freundin.
Mein Objekt? Ich zögere. Das gehört sich nicht. Ein Mensch ist kein Objekt. Selbst wenn man ihn zum Fressen gern hat, ist sie oder er das nicht. Obwohl das Sichverlieben gerade so funktioniert: Ein anderer Mensch wird zum Objekt der Begierde; man möchte Tag und Nacht bei ihm sein, weil dessen Gegenwart einen so wunderbar zuverlässig mit überaus angenehmen Gefühlen versorgt. Wie auf Knopfdruck schiessen die Glückshormone ein, und man fühlt sich gut. Alles dank diesem einen Menschen, dem Objekt der Verehrung, der Hoffnung, der Liebe.
Von Martin Frischknecht
Als Professor leitet er eine Fachstelle für neurobiologische Präventionsforschung und ist Autor von Studien und Fachbüchern zur Hirnentwicklung. Zugleich und hauptsächlich ist Gerald Hüther ein warmherziger, nahbarer Mensch, einer, der Dinge beim Namen nennt und andere inspiriert.
SPUREN: Herr Hüther, Sie haben sich ausgiebig mit den Bedingungen beschäftigt, unter denen es dem Menschen, namentlich in der Kindheit, gelingt, sein Potenzial zu entfalten. Haben Sie persönlich in Ihrem Leben einfach ein gutes Los gezogen, dass Ihnen das in der Kindheit weitgehend möglich war?
Gerald Hüther: Sicherlich gehört da auch Glück dazu. Ich bin in Thüringen in der ehemaligen DDR auf einem Hof mit Wassermühle grossgeworden. Wir waren an die zehn Cousins und Cousinen und lebten in altersgemischten Spielgruppen, die sich die Welt mehr oder weniger selber erschlossen, ähnlich wie Astrid Lindgrens Bullerbü. Da lernt man natürlich unglaublich viel, nicht so sehr von den Erwachsenen oder im “Frühförderunterricht”, sondern von den älteren Kindern, die sich schon etwas besser auskennen. Man ist in diesen Gruppen sehr stark verankert, weiss, dass man gebraucht wird – jeder auf seine Weise. Der Dreijährige hat eine genauso wichtige Funktion wie der Fünfzehnjährige, weil jeder auf seine Weise etwas zu dem Spass und zu der Freude beitragen kann, die man zusammen hat. Manch eine Aufgabe lässt sich nur gemeinsam bewältigen. Das sind schon sehr günstige Voraussetzungen, wie sie viele junge Menschen in dieser Form heute kaum mehr finden.