von Martin Frischknecht
Beim Surfen in Facebook stosse ich auf das Bild einer mir bekannten Frau. Als ich mit dem Mauszeiger zum Bild fahre, gerate ich in die Nähe des nach oben erhobenen Daumens. Unverlangt springt ein kleines gelbes Hilfe-Fenster auf, das mich über die Funktion informiert: «Dieses Objekt gefällt mir». Obwohl ich diese Formulierung etwas überraschend finde, kann ich nicht umhin, der Aussage zuzustimmen. Also drücke ich auf die Hand mit dem nach oben weisenden Daumen. Worauf die halbe Welt Kenntnis nehmen kann von dem, was ich seit gut drei Jahrzehnten weiss: Ich mag sie. Schliesslich war sie mal meine Freundin.
Mein Objekt? Ich zögere. Das gehört sich nicht. Ein Mensch ist kein Objekt. Selbst wenn man ihn zum Fressen gern hat, ist sie oder er das nicht. Obwohl das Sichverlieben gerade so funktioniert: Ein anderer Mensch wird zum Objekt der Begierde; man möchte Tag und Nacht bei ihm sein, weil dessen Gegenwart einen so wunderbar zuverlässig mit überaus angenehmen Gefühlen versorgt. Wie auf Knopfdruck schiessen die Glückshormone ein, und man fühlt sich gut. Alles dank diesem einen Menschen, dem Objekt der Verehrung, der Hoffnung, der Liebe.
Wo ist das Problem? Kein Problem. Sie küssten sich und lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage – heisst es im Märchen. In Wirklichkeit lebt meine Geliebte von einst mehrere Hundert Kilometer von mir entfernt. Unsere aktuelle Verbindung besteht darin, dass wir uns via Internet ab und zu freundschaftlich zuwinken und uns aus der Ferne der Sympathie und des Wohlwollens versichern.
Das Leben hat uns auseinander geführt; treu geblieben sind wir etwas anderem: der Liebe. Und die hat sich entwickelt. Dabei ist sie nicht etwa kleiner geworden, eher stärker und breiter. Sie hat sich ausgeweitet und klammert sich nicht länger nur an diesen einen sehnlich umschwärmten Menschen, dem wir alles Glück der Welt zuschreiben. Weitere Menschen sind hinzugekommen, daraus haben sich neue Formen von Liebe und Zuwendung ergeben. Bitte, ich spreche hier nicht von sogenannten Lebensabschnittspartnern. Das Wort ist mir ein Graus. Vielmehr meine ich Kinder, Freunde, Verwandte, und, ja, mich selbst.
Aber wir leben doch mit iPhone und iPad, schweben in der iCloud – ei, ei, ei, was braucht es bei so viel Selbstbezogenheit auch noch Selbstliebe? Wenn uns die vielen neuen Gerätchen und virtuellen Welten einen Schritt näher zu uns selbst bringen würden, ja, wenn es Werkzeuge der Selbsterkenntnis wären, sähe es anders aus. Mit «Yöhs» und «LOLs», mit Daumen rauf, Daumen runter ist das nicht getan. Liebe und Bezogenheit führen eher dazu, dass wir uns aus dem Bazar der Gefälligkeiten verabschieden und uns dem zuwenden, was zuverlässig Beziehung stiftet seit eh und je: Atem und Herzschlag, Achtsamkeit, ein wacher, unverstellter Blick – und siehe, die Welt macht sich schön, es wird Frühling. Gefällt mir.
Dieser Artikel erschien zuerst in Spuren WebSite: www.spuren.ch
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